Herrnhuter Losungen 7. April 2020

Der Herr, der König Israels, ist bei dir, dass du dich vor keinem Unheil mehr fürchten musst. (Zefanja, 3,15)

Jesus sprach zu den Jüngern: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben? (Mk 4,40)

 

Liebe Leser*innen, 

Meine evangelikale Phase endete, als ich feststellen musste, dass ich meine Zweifel nicht loswerden würde. Egal wie peinlich genau ich meine stillen Zeiten einhielt und wie ernsthaft ich Gott um das Ende der Anfechtungen bat. Ich fürchtete mich damals vor allerlei altersgemäßem Unheil, zum Beispiel, dass ich nie einen Jungen finden würde, der mit mir gehen wollte – aber es war noch mehr: mich bedrohte schon damals der Gedanke, dass es Gott vielleicht gar nicht gibt. 

In der Gruppenstunde habe ich das dann auch so erzählt. Da fiel der Gruppenleiter auf die Knie und betete inbrünstig, dass Satan von mir ablassen möge. Das tat er durchaus mit sanfter Stimme, ganz um mein Seelenheil bemüht, dennoch war es mir fast unerträglich peinlich. Nach der Stunde nahm er mich beiseite und mahnte nun mit scharfer Stimme, dass ich so etwas nie wieder tun sollte. Die jungen Kinder in der Gruppe würden nicht verkraften, dass jemand wagt, an der Existenz Gottes zu zweifeln. Es sei meine Verantwortung, dass sie nicht von meinen teuflischen Gedanken angesteckt und ins Unheil gerissen würden.

Ich war damals ein dickes Mädchen und schämte mich für so fast alles an mir– nur nicht für meinen recht scharfen Verstand und die Bereitschaft, auch zu mir selbst gegenüber ehrlich zu sein. Ich erkannte, dass es bei mir nicht klappen würde mit dem Bekehrungserlebnis, das die unerschütterliche Glaubensgewissheit gewährt. Immer würde ich auf die Frage, die die Tageslosung im Namen Jesu stellt, antworten müssen: wenig Glauben, oft gar keinen. Dafür aber, dass mein Menschenverstand den Urgrund des Seins nicht zweifelfrei erfassen konnte, wollte ich mich weder unzulänglich noch falsch fühlen müssen, und es sollte auch keiner das Recht haben, mich bloßzustellen, weil ich meine Wahrheit aussprach. Damals hatte ich die Wahl zwischen Selbstbetrug oder dauerhafter Beschämung. Ich war stolz genug, die Gemeinde zu verlassen.

Unsere Tageslosung stammt aus der biblischen Geschichte, in der die Jünger mit einem kleinen Boot in einen schweren Sturm geraten und um ihr Leben fürchten müssen. Weil ihr Vertrauen in Gott nicht jede Angst aufhebt, schilt sie Jesus des mangelhaften Glaubens. Diese Geschichte wurde lange so ausgelegt, dass zweifelsfreier Glaube möglich und von Gott gefordert sei. Leider ist in dieser Sache der sonst von mir so verehrte Dietrich Bonhoeffer ein problematischer Zeuge, nennt er doch die von ihrer Angst überwältigten Jünger „Teufelsmenschen“. Besonders problematisch wird die fromme Erlösungsgewissheit da, wo sie religiöse Vielfalt verteufeln muss, um unangefochten zu bleiben. Die Intoleranz derer, die sich absolut sicher waren, dass der Weg zum Vater nur durch Jesus Christus führt, hat bei der Christianisierung der Erde unzählige Opfer produziert.

Ich kann mir allerdingst nicht vorstellen, dass Markus Jesus die Meinung zugetraut hat, Glaubenszweifel seien Grund, sich schämen zu müssen. Berichtet doch Markus, dass Jesus als seine eigene Glaubensungewissheit und Angst nicht schamhaft unterdrückt hat als er am Kreuz hing.

Anscheinend ist aber die Tatsache, dass auch die, die durchaus aufrichtig hoffen, dass der Herr bei ihnen ist, dennoch sehr oft nur schwachen oder gar keinen Glauben haben, schwer auszuhalten. Die in pietistischen Kreisen viel beschworene „Glaubensgewissheit“, „Heilsgewissheit“ und „Erlösungsgewissheit“ ist hier der Versuch, den Glauben aus der Nähe der schwankenden Gefühle wegzubekommen. Gott selbst sorgt in diesem Modell deshalb dafür, dass jemand einen zweifelsfreien, unstrittigen Glauben hat. Allerdings ist es ja wohl ein Problem, dass Gott das augenscheinlich nicht an allen, die es sich wünschen, so vollzieht. Auch Martin Luther quälten Glaubenszweifel. Er hielt es jedoch nicht für möglich, diese durch irgendeine Menschenkraft abzuwehren. Glaubenskraft hielt er für eine solche und empfahl deshalb, bei Anfechtung statt ins eigene Innere auf ein Kruzifix zu schauen. In den Psalmen ringen die Beter*innen mit allen nur erdenklichen Bedrohungen und erzählen es dem Ewigen, wie schwer es ihnen fällt, zu glauben, dass er bei ihnen ist. Die, die einen schwachen Glauben haben, werden ausdrücklich ermutigt zu der Unverschämtheit, Gott ihr Leid zu klagen.

Empirisch ist eine Glaubensgewissheit nicht verfügbar. Jede vermeintliche Sicherheit, dass der Herr bei uns ist, wird immer wieder durch das konterkariert, was ich über gottverlassenen Leidensgeschichten erfahre. Auf ihrer Flucht nach Europa sind zu Viele in Seenot geraten und ertrunken, als dass ich da nicht ins Zweifeln kämen, ob Markus alles richtig erzählt hat.

Wie fest mein Glaube gerade ist, hängt daran, zu wieviel Vertrauen ich heute fähig bin. Morgen kann es ganz anders sein. Übermorgen spätestens wird es ganz sein. Dankbar darf ich sein, wenn mein Glaube im Blick auf das gesamte Leben gewiss genug geblieben ist, um sich nicht ganz zu verlieren. 

Ich weiß nicht, ob ich meinen Glauben behalten kann, sollte mein Lebensschiff einmal in gefährlichen Wassern treiben. Und genau das sollten wir allen erzählen, die uns fragen, um was es geht beim Glauben an Jesus Christus, den gekreuzigten König von Israel. Und niemand sollte sich unzulänglich vorkommen, wenn ihm oder ihr Fantasie und Mut fehlen, diesem Herrn zu vertrauen. Vermutlich darum hat dann Matthäus ein paar Verse an die Geschichte des Markus angefügt: Petrus erprobt hier seinen Glauben und geht kläglich unter. Jesus hält ihn fest - und von niemandem in der Geschichte wird erzählt, er wäre Gott nicht gut genug, so wie er ist. 

Ich plädiere deshalb für den Erwerb der Fähigkeit zur Glaubensungewissheit. Weil in ihr die einzige Möglichkeit liegt, dem lebendigen Gott zu begegnen.

In den Zeiten von Corona sind uns manche stille Zeiten aufgezwungen. Ich rege an, sie nach gutem pietistischen Brauch dafür zu nutzen, um die tägliche Ration Mut zu bitten, die wir brauchen, um das Ringen zwischen Angst und Vertrauen, auszuhalten.

Bleiben Sie alle gut behütet.

Ihre Anke Augustin